Lois Weinberger (1947-2020)
Artforum, 04.06.2020 | Rainer Fuchs„Ich praktiziere Kunst nicht als eine Form des Artenschutzes, obwohl meine Handlungen in diesem Sinne effektiv sind.“1
UNOBTRUSIV ABER DAUERHAFT erforschte Lois Weinberger die Natur als kulturelles und gesellschaftliches Terrain, ein Impuls, der auf seine Erziehung in einer Tiroler Bauernfamilie und seine frühe Beschäftigung als Baustahlmonteur zurückzuführen ist. Als er 1977 im Alter von 30 Jahren beschloss, Künstler zu werden, bildete die Welt der landwirtschaftlichen und industriellen Arbeit die Grundlage für eine kreative Praxis, die auf seinem täglichen Leben beruhte. Unermüdlich neugierig erwarb er umfassende Kenntnisse in Biologie, Philosophie, Ethnologie und Soziologie — l’art pour l’art war nicht sein Ding. Mit Lois durch seine „Gebiete“ zu gehen — so nannte er die Gärten in seinem Haus — sollte in den Bann eines leidenschaftlichen Botanikers fallen, für den Kunst eine Form der Wissenschaft war.
Als jemand, der sich der populären Fantasie der Natur als Bollwerk von Idyllen widersetzte, die weit von der Zivilisation entfernt waren, stellte er von Anfang an die Abgrenzung zwischen Natur und Kunstfertigkeit in Frage. In frühen Arbeiten — für die er angespülten Plastikmüll als Baumschmuck umfunktionierte oder ein Feld mit verschiedenen Samen in unzähligen Plastikwannen aufstellte — bot Lois Spiegelbilder der sozialen Realität an. In den späten 1970er Jahren hatte er seinen eigenen Konzeptualismus als Feldforscher in der lokalen Umgebung seiner Kleingärten in Österreich entwickelt. Er stellte Archivzeichnungen von Blumentrögen zusammen, die kunstvoll aus Autoreifen hergestellt wurden, und stellte sie zusammen mit den Trögen selbst aus. Dabei verlagerte er die ästhetischen Vorlieben kreativer Amateure in einen Kunstkontext und unterwarf sie einer ernsthaften, ironischen Analyse, die mehr über soziale Obsessionen und Repressionen enthüllte als viele akademische Studien. Weit davon entfernt, eine provinzielle Haltung einzunehmen, beschäftigte er sich bewusst mit der Provinz, um zu verdeutlichen, dass große Kunst auch aus einer Auseinandersetzung mit der Welt im Mikrokosmos entstehen kann:
„Kunst entsteht in der Provinz, ob sie dann internationale Anerkennung findet, sollte von der Qualität abhängen.“2
Lois‘ außergewöhnliche Arbeit fand durch zahlreiche öffentliche Kunstprojekte ein internationales Publikum. Anlässlich seiner Teilnahme mit seiner Frau Franziska (mit der er die meisten seiner Werke organisierte) an der Biennale in Venedig im Jahr 2009 machte er deutlich, dass seine Ausrichtung auf das Land nichts mit falschem Patriotismus zu tun hatte, und betonte, dass er sich nicht als Vertreter irgendeines Landes sehe. Schüchtern, bescheiden und von Natur aus zurückhaltend, vermied Lois das Spektakel und den sozialen Hype der Kunstwelt und wandte sich stattdessen den Ausgegrenzten, den zu leicht Übersehenen und den leicht Unterdrückten zu — etwas, das er auch in seinem Schreiben ansprach.
„Die Äußeren- / Rand- Zonen der Wahrnehmung / Ereignisse, die sich weniger durch offensichtliche Veränderungen ausdrücken als durch die Hervorhebung der üblicherweise übersehenen — kleinen Beobachtungen — registrieren flüchtige Momente.“3
Dieser Kontakt mit den Peripherien wurde zu einem seiner Markenzeichen: der brachliegende Boden und die unterbewerteten sogenannten Ruderalpflanzen, die als Unkraut und blumige Belästigungen ausgerottet werden. Lois bewegte den Detritus der Zivilisation, mit dem sich diese Pflanzen gelegentlich verwickeln, in unser Bewusstsein und machte ihn als Zeuge einer Realität sichtbar, von der man lieber wegschauen würde. In seiner Ausstellung 2017 im Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, „Naturgeschichten“, bezog sich ein solches von Müll übersätes Naturszenario auf ein griechisches Dorf, das die touristische Idealisierung sowie den euphorischen Glauben an den industriellen Fortschritt in Frage stellte. Die Show beinhaltete auch einen Vortrag über Politik. In geduldiger Vorbereitung produzierte Lois unzählige Erdkrusten, die er nach der Ausstellung mitnahm, um sie später in seinen eigenen experimentellen Gartenbereichen zu verwenden.
Einbürgerungspflanzen, die einst in ein Gebiet importiert oder geschmuggelt wurden, in dem sie nicht heimisch sind, sind ein weiteres zentrales Motiv seiner Kunst, das Themen wie Migration, Diaspora und Identitätspolitik kritisch und metaphorisch thematisiert. Das berühmteste Beispiel für dieses Motiv war die Aussaat verschiedener ausgewanderter Ruderale aus süd- und südosteuropäischen Ländern auf dreihundertdreißig Fuß verlassener Eisenbahnstrecke in Kassel für Catherine Davids „poetical / political“ Documenta 10 im Jahr 1997. Das Werk mit dem Titel Das über die Planzen / ist eins mit Ihnen wurde 2015 restauriert, und während der Documenta 14, zwei Jahre später, verfing sich ein sinnlich buntes Potpourri aus vagabundierenden Unkräutern in den Furchen der Erde, einem subversiven Kindergarten, in dem der Vordergrund nicht durch Intervention, sondern durch Einwilligung gehalten wird. Inmitten einer globalen Pandemie, die teilweise durch eine rücksichtslose Haltung gegenüber Beziehungen zwischen Arten und nichtmenschlichem Leben ausgelöst wurde, wurden Lois‘ Arbeit und sein kritischer Ansatz zur sinnlosen Ausbeutung natürlicher Ressourcen und zur Ökonomisierung aller Lebensbereiche nun durch die Wirklichkeit bestätigt. Lois selbst hatte die Quarantäne als Zeit der gewissenhaften Reflexion und Motivation für zukünftige Projekte genommen.
Im Unreifen und Unvollständigen sah Lois Weinberger Potenzial, das im Abgeschlossenen zu verschwinden drohte. Man kann sein Erbe als Plädoyer für Freizonen verstehen, oder was Gilles Clément Dritte Landschaften genannt hat, für die es in unserer durch und durch wirtschaftlich geprägten Welt keinen Platz mehr gibt. Bei den Salzburger Festspielen 1993 schuf Lois eine Freizone, indem er ein Loch in den Asphalt eines der zentralen Plätze der Stadt grub — auf dem Müll und Unkraut eingeschlossen wurden — und die Gewissheit der Natur spürbar machte. In Bezug auf die brutale Realität dieser Gewissheit machte er sich keine Illusionen. „Solange die Natur uns sterben lässt, kann sie nicht nur als metaphorisch angesehen werden.“4
In der Nacht vom 21. April 2020 starb Lois Weinberger im Alter von dreiundsiebzig Jahren an einem Herzinfarkt.
Rainer Fuchs ist Chefkurator des Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (mumok).
Anmerkungen
1. Lois Weinberger, zitiert in Philippe van Cauteren, Hrsg., Lois Weinberger (Ostfildern: Hatje Cantz, 2012), 70.
2. Ibid., 66.
3. Lois Weinberger, zitiert in Franziska Weinberger, Hrsg., Lois Weinberger (Bonn: Bonner Kunstverein; Dublin: Douglas Hyde Gallery; Innsbruck: Galerie im Taxispalais; Wien: Triton Verlag, 2002), 100.
4. Ibid., 64.